Die Insel Memmert ist seit 1924 staatliches Naturschutzgebiet und darf ohne schriftliche Genehmigung der Nationalparkverwaltung nicht betreten werden. Allerdings werden nach der Brutsaison von August bis Oktober Fahrten von Juist mit einer Führung auf der Insel für eine begrenzte Personenzahl durch den Nationalparkwart angeboten. Vor unserer Abreise hatte ich durch Zufall entdeckt, dass genau während unseres Aufenthalts auf Juist eben solch eine Fahrt zu der Vogelinsel Memmert angeboten wird und eine Buchungsanfrage an die Nationalparkverwaltung geschickt. Eine (fast) unbewohnte Insel zu besuchen ist in Deutschland eines der wenigen Abenteuer, die man hier erleben kann.
Relativ unkompliziert bekamen wir eine Zusage für den heutigen Tag. Mit der Wappen von Juist sollte die Überfahrt um 13 Uhr stattfinden. Die Tour dauert ca. 7 Stunden und der Kostenpunkt liegt bei 40 Euro / Person. Buchungen und Termine können auf der Seite des Nationalparkhaus Wattenmeer abgefragt werden.
Leider war wettertechnisch für heute der schlechteste Tag prognostiziert. Es sollte den ganzen Tag regnen und stürmen. Unsere Motivation an der Tour teilzunehmen hielt sich am Morgen noch in Grenzen.
Da wir beide früh wach waren, frühstückten wir und beschlossen trotz des usseligen Wetters auf Geocachesuche zu gehen. Ein paar Dosen im Umkreis unserer Ferienwohnung fehlten uns noch und zum Start machten wir uns um 8 Uhr auf die Socken und schlenderten durch die menschenleeren Straßen zum Hafen.
Der Wind peitschte uns entgegen und es hatte leicht zu nieseln begonnen. Wir hofften, dass die Tour zur Vogelinsel vielleicht noch abgesagt werden würde; so schade das auch wäre.
Über die Mole liefen wir schnellen Schrittes zur Bake an der Hafeneinfahrt. Eigentlich kann man von einem Aussichtspunkt einen tollen Blick auf die Insel genießen. Uns strahlte der übliche Grauton entgegen. Auch der Regen war stärker geworden.
Nachdem wir den hier befindlichen Geocache geloggt hatten, begaben wir uns zurück zum Hafen und suchten die verbliebenen Dosen.
Ein Cache führte uns zu einem Aussichtspunkt über das Meer. Immerhin war es nicht so diesig wie gestern, aber in den letzten 3 Tagen hatten wir den Strand nicht einmal bei Sonne, geschweige denn bei blauem Himmel gesehen. Das war schon ein wenig traurig.
Wir genossen die Meeresbrise und die frische Luft und liefen gegen halb 11 zurück zur Ferienwohnung. Bevor es erneut zum Hafen ging, wärmten wir uns erstmal etwas auf und hofften insgeheim immer noch auf eine Absage der Tour.
Doch die Stunden bis zur Abfahrt um 13 Uhr schritten voran und um halb 1 beschlossen wir, zum Hafen aufzubrechen.
Einige Leute standen bereits vor dem Schiff MS Wappen von Juist bzw. begaben sich direkt ins Innere. Auch wir wollten nicht in der Kälte draußen stehen und konnten nach der Anmeldung beim Nationalparkmitarbeiter das Schiff betreten. Dank Corona natürlich mit Maske.
Der prognostizierte Regen setzte ein, kaum das wir auf dem Schiff waren und während der Ausfahrt aus dem Hafen von Juist konnten wir nichts sehen. Hoffentlich besserte sich das Wetter ein wenig. Eine 7-Stunden-Tour bei Regen war nicht wirklich reizvoll.
Die nächsten 1,5 Stunden hatte das Wetter Zeit sich zu bessern, denn so lange blieben wir auf der MS Wappen von Juist.
Im Schritttempo fuhren wir entlang der Insel und konnten zahlreiche schwarze Punkte im Watt erkennen – die Seevögel auf Futtersuche. Die Mitarbeiterin von der Nationalparkverwaltung erläuterte uns, was wir für Vögel durchs Fernglas sehen könnten. Neben dem Großen Brachvogel entdeckte ich durch mein Tele zahlreiche Austernfischer, Uferschnepfen (oder Pfuhlschnepfen – aufgrund der Distanz nicht richtig zu erkennen) und Alpenstrandläufer. Auch Löffler waren auf einem Kai zu erspähen.
Interessant war übrigens die Info, dass die Vögel mit ihrem Schnabel an ihre Nahrung angepasst sind und die Konkurrenz untereinander somit vermeiden.
Bei den Watvögeln entscheidet die Schnabellänge darüber, in welcher Bodentiefe sie Nahrung finden. Der Große Brachvogel mit seinem gebogenen Schnabel und die Uferschnepfe können z. B. im schlammigen Boden Würmern suchen und Wattwürmer gezielt aus ihren gekrümmten Gängen herausholen, während Austernfischer, Knutt und Eiderente mit ihren Schnäbeln auch größere Muscheln knacken können.
Auch Löffler, Säbelschnäbler und Brandgänse haben besondere Schnäbel, mit denen sie kleine Beutetiere aus Wasser und Schlick seihen können.
Während ein Kormoran neben dem Schiff herflog, schwammen hinter der Wappen die ersten neugierigen Seehunde heran.
Das Meer zog sich weiter zurück und immer mehr Watvögel versammelten sich im Schlamm.
Wir fuhren näher heran und konnten die Vögel durchs Fernglas bzw. Teleobjektiv gut beobachten. Beeindruckt war ich vor allem von den vielen Großen Brachvögeln, die sich auch aus der Ferne gut erkennen ließen.
Der Regen hatte zum Glück etwas nachgelassen und auch auf der anderen Schiffsseite konnten wir im Watt die Seevögel beobachten. Hier waren vor allem Austernfischer und Kormorane zu sehen.
Das war schon ein tolles Bild so viele Vögel zu sehen.
Je näher wir der Insel Memmert kamen, umso mehr Vögel versammelten sich im Watt.
Auch zahlreiche Eiderenten lagen auf den Sandbänken. Die Männchen haben im Herbst übrigens nicht mehr ihr schönes, auffälliges Prachtkleid an.
Ein Schwarm Pfeifenten flog über unseren Köpfen hinweg. Ich hatte auf Ringelgänse gehofft, die im Herbst zeitweiser Besucher auf Juist sind, aber die Gänse waren noch nicht eingetroffen.
Wir näherten uns dem Westende der Insel und gelangten mit dem Schiff immer näher ans Watt.
Wieder gesellten sich ein paar Seehunde zu uns, die neugierig mit ihrem Kopf aus dem Wasser lugten. Die sind doch echt niedlich.
Wir fuhren an dem Restaurant Bill´s Domäne vorbei und konnten wasserseits einen Blick auf den großen, ehemaligen Bauernhof werfen. Davor tummelten sich im Watt Eiderenten, Austernfischer, Sandregenpfeifer und Pfuhlschnepfen.
Gegen halb 3 erreichten wir die Insel Memmert. Da die Insel – bis auf den Vogelwart – unbewohnt und das Betreten ohne Genehmigung und außerhalb der erlaubten Zeiten, verboten ist, gibt es keinen Hafen oder eine Anlegestelle. Daher mussten wir bugseitig über eine Leiter aussteigen und durch knietiefes Wasser zum Strand waten. Zum Glück war das Wasser wärmer als erwartet.
Auch der Regen hatte nachgelassen und es nieselte nur noch leicht. Wir trockneten unsere Füße ab (Handtuch mitbringen!) und warteten am Strand, bis alle Leute von Bord gegangen waren.
Während die Wappen von Juist zur anderen Seite der Insel fuhr und dort auf uns wartete, liefen wir am Strand entlang und lauschten den Erzählungen der Mitarbeiterin des Nationalparks.
Im Watt vor der Insel beobachtete ich ein paar Alpenstrandläufer und Sanderlinge.
Kaum zu glauben, dass sich der Himmel etwas aufhellte und ein zaghaftes Blau zum Vorschein kam.
Vom Strand der Insel Memmert kann man am Horizont übrigens den Leuchtturm der Insel Borkum und die Ausdehnungen der Kachelotplate erkennen. Zwischen 2000 und 2005 hat sich die Hochsandbank langsam in Richtung Memmert verlagert und man erwartet, dass sich beide in ca. 50 Jahren vereinigen.
Die Kachelotplate gehört zur Schutzzone (Zone I) des Nationalparks Wattenmeer und darf ebenfalls nicht betreten werden. Allerdings gilt das Verbot nicht für Seehunde und Kegelrobben, die sich gerne auf der Sandbank aufhalten.
Das Rückzugsgebiet für Seevögel und Seehunde sollte möglichst weiträumig von Booten umfahren, bzw. nicht unnötig von Flugzeugen überflogen werden.
Apropos Flugzeug; bei einem Aufenthalt auf der Insel Memmert wird man vermehrt feststellen, dass sich die Helikoptergesellschaften nicht unbedingt an die Bitte des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) halten, denn während unserer Zeit auf der Insel, konnten wir zahlreiche Helikopter hören und sehen, die die Insel Memmert und auch die Kachelotplate überflogen.
Wir liefen weiter am Strand entlang und waren froh, dass es aufgehört hatte zu regnen.
Eine Markierung in den Dünen zeigte uns den Weg zum Vogelwärterhaus.
Hier hieß es nun, so wenig Flora wie möglich zu schonen. Alle Besucher blieben auf dem markierten Pfad und liefen hinter den Dünen zum 2003 vollständig renovierten Vogelwärterhaus auf der höchsten Düne, die auch im Falle einer Sturmflut nicht unter Wasser verschwindet.
Hier erwartete uns bereits der Vogelwart Enno Janssen, Mitarbeiter des NLWKN. Er wohnt seit 2003 etwa neun Monate lang auf der Insel, und zwar jeweils von März bis November. Die Aufgaben des Inselvogt sind vielseitig. So gehören bspw. die alljährliche Brutvogelerfassung, die Verhinderung von Störungen und das Absammeln von Müll zu seinen Tätigkeiten.
Wir genossen die Weitblicke von der Düne und lauschten den Erzählungen des Vogelwarts. Einziger Nachteil war, dass es vor dem Haus keine Sitzmöglichkeiten gab. Gut 1,5 Stunden standen wir uns die Beine in den Bauch. Für Leute mit Rückenproblemen sehr anstrengend.
Dafür ließ sich jedoch gegen halb 5 doch noch die Sonne blicken und tauchte die Umgebung in ein schönes Nachmittagslicht.
Bevor es zurück auf die Wappen von Juist ging, bot uns die Frau des Vogelwarts selbstgebackenen Kuchen und Kaffee an. Wir freuten uns über die nicht alltägliche Einladung auf einer unbewohnten Insel und nahmen auf einem der Campingstühle Platz. Endlich sitzen.
Der Kuchen schmeckte sehr gut. Die Verpflegung auf Memmert gehört allerdings nicht zum Ausflugsprogramm. Generell ist auf der 7-8-stündigen Tour Selbstverpflegung angesagt.
Wir verabschiedeten uns vom Inselvogt und liefen durch die Dünen zum Strand zurück, wo die MS Wappen auf uns wartete.
Bevor wir zurück nach Juist fuhren, mussten wir noch ein wenig Zeit auf dem Meer verbringen, denn durch das Niedrigwasser war ein Einlaufen in den Hafen so früh noch nicht möglich. Das ist übrigens auch der Grund, warum die Tour so lange dauert.
Da uns jedoch ein wunderschöner Sonnenuntergang auf dem Meer und eine Fahrt vorbei an den zahlreichen Seerobben erwartete, waren wir nicht traurig, dass es noch nicht zurück nach Juist ging.
Auf der Kachelotplate hatten es sich die Robben gemütlich gemacht.
Zahlreiche Eiderenten suchten bei Vorbeifahrt der MS Wappen schnell das Weite.
Wir genossen die Sonnenstrahlen und das Licht, dass die Umgebung in ein fantastisches Abendlicht tauchte.
Die neugierigen Seehunde näherten sich dem Schiff und schwammen eine Zeit lang hinter uns her.
Die letzten Strahlen des Tages ließen die Insel Juist in einem magischen Licht erscheinen.
Auf der gemächlichen Fahrt vorbei an der Sandbank und den Seehunden, konnten wir den Tag ganz entspannt und ohne einen Tropfen Regen ausklingen lassen.
Die knuffigen Seehunde zogen mich in ihren Bann und ich konnte gar nicht genug Fotos von ihnen machen. Sowas von niedlich.
Das Wasser suchte sich langsam seinen Weg durch das Watt und die meisten Seevögel hatten sich schon zurückgezogen.
Am Ende der Sandbank legte der Kapitän eine 180° Drehung ein, damit auch die Gäste auf der anderen Seite des Schiffs die Seehunde sehen aus nächster Nähe sehen konnten. Ich fotografierte statt der niedlichen Tiere den Sonnenuntergang.
Wir fuhren noch einmal an der Insel Memmert vorbei und schipperten langsam Richtung Juister Hafen.
Zahlreiche Pfeifenten flogen aufgeschreckt über uns hinweg und suchten sich ein sichereres Plätzchen fernab des Motorenlärms der MS Wappen von Juist.
Am Horizont sahen wir zahlreiche Vogelschwärme tief übers Wasser fliegen. Herrlich, einfach nur herrlich, was uns am Ende dieses tollen Ausflugs noch erwartete.
Die Sonne war schon bald hinter dem Horizont verschwunden und der pastellfarbene Abendhimmel verwandelte sich langsam in ein dunkles Blau.
Die Bäume, die scheinbar mitten im Meer stehen, sind eigentlich keine richtigen Bäumen, sondern Pricken. Pricken kennzeichnen im ostfriesischen Wattenmeer schmales und flaches Fahrwasser. Die Birkenstämme stehen in Abständen von 50-150m im Wasser und zeigen den Kapitänen das Fahrwasser an. Die Bäume können bis zu 9m hoch sein, oftmals sind sie noch mit reflektierendem Band versehen für die bessere Sichtbarkeit.
Das Meer war spiegelglatt und es wehte nicht mal ein laues Lüftchen. So ruhiges Wasser hab ich auf dem offenen Meer noch nie gesehen.
Leider auch recht tückisch für unseren Kapitän, denn während wir gemütlich bei aufgehendem Mond vor uns her schipperten, hatten wir uns aufgrund der niedrigen Wasserhöhe kurz vor der Einfahrt in den Hafen festgefahren.
Voller Spannung standen wir an Deck und beobachteten das Geschehen. Die Motoren wurden auf Volllast hochgefahren und es stank gewaltig nach Diesel. Drei Picken überlebten das Manöver leider nicht und wurden durch die Wappen quasi gefällt.
Irgendwann hatte es der Kapitän aber geschafft, aus der Untiefe herauszukommen.
Mit ausreichend Wasser unterm Kiel fuhren wir in den Hafen von Juist ein, wo unser Ausflug mit abenteuerlichem letzten Minuten gegen 20:15 Uhr zu Ende ging.
Wir verabschiedeten uns vom Team der MS Wappen und bemerkten beim Aussteigen, wie tief der Wasserstand aktuell war. Heute Mittag waren wir ebenerdig eingestiegen. Beim Ausstieg benötigen wir eine Gangway, die uns doch recht steil hinauf auf festen Boden führte.
Die Fahrt zur Insel Memmert kann ich nur jedem Vogelliebhaber empfehlen. Wo kann man schon mal eine unbewohnte Insel betreten und fast unberührte Natur genießen? Zudem ist auch eine kostenlose Fahrt zu den Seehundbänken auf dem Rückweg zum Hafen inkludiert.